Wenn man als Neurodermitis-Betroffene*r die Praxis eines Dermatologen bzw. einer Dermatologin betritt, dauert es oft keine zehn Sekunden, bis die alles entscheidende Frage gestellt wird: „Haben Sie häufig Stress?“ Das ist vermutlich der Grund, warum die meisten meiner Leidensgenossen – und so auch ich – diese Frage nicht mehr hören können. Doch auch wenn es anstrengend sein kann, diese Frage immer und immer wieder gestellt zu bekommen, so kann es dennoch Sinn machen, sich vielleicht doch einmal damit auseinanderzusetzen und sich selbst zu fragen: „Habe ich eigentlich Stress?“
Wenn man als Neurodermitis-Betroffene*r die Praxis eines Dermatologen bzw. einer Dermatologin betritt, dauert es oft keine zehn Sekunden, bis die alles entscheidende Frage gestellt wird: „Haben Sie häufig Stress?“ Das ist vermutlich der Grund, warum die meisten meiner Leidensgenossen – und so auch ich – diese Frage nicht mehr hören können. Doch auch wenn es anstrengend sein kann, diese Frage immer und immer wieder gestellt zu bekommen, so kann es dennoch Sinn machen, sich vielleicht doch einmal damit auseinanderzusetzen und sich selbst zu fragen: „Habe ich eigentlich Stress?“
Seitdem ich denken kann, habe ich Neurodermitis. Und seitdem ich denken kann, bin ich ein unfassbar nervöser Mensch gewesen. Ich habe Höhenangst, Platzangst, Angst vor Krankheiten und von meiner Angst zu versagen will ich gar nicht erst anfangen. Dennoch lasse ich mir all das im Umgang mit Anderen nicht wirklich anmerken. Ich bin eigentlich sehr aufgeweckt und rede gerne und viel. Ich schaffe es mit Bravour meine Unsicherheit vor Fremden zu verstecken. Das beherrsche ich mittlerweile so gut, dass mich Außenstehende häufig als „selbstbewusst“ beschreiben. Meine Unsicherheit ging früher sogar so weit, dass ich so manche Frage zu meiner Neurodermitis sofort als gezielte Gehässigkeit gegen mich interpretierte. Ich war mir sicher, dass niemand in meinem Umkreis mich verstehen konnte und viele meine Schwäche in Bezug auf die Erkrankung ausnutzten.
Tag für Tag füllte ich meine Gedanken mit negativen Inhalten. Ich reflektierte Treffen mit Freunden bis ins kleinste Detail und stellte mir ständig Fragen wie: „Habe ich mein Gegenüber überhaupt ausreichend zu Wort kommen lassen?“ oder „Habe ich zu viel über mich selbst gesprochen?“. Wenn ich so darüber nachdachte, kam ich meist zu dem Ergebnis, dass ich mich selbst absolut nicht leiden konnte.
Nächtelang wälzte ich mich durchs Bett, weil mich der Juckreiz meiner Neurodermitis so sehr plagte – im Hintergrund wohl wissend, dass ich am nächsten Tag früh raus musste, um zur Arbeit zu gehen. Doch auch meine Gedanken wollten mir keinen Schlaf lassen. Ich fragte mich ständig, warum gerade ich diejenige war, die dieses Päckchen zu tragen hatte. Warum waren meine Freunde alle gesund und ich als einzige nicht? Warum konnten alle glücklich und unbeschwert ihr Leben genießen, während ich nächtelang überlegte, ob ich mit meiner schrecklichen Haut und meiner negativen Art überhaupt gut genug für mein eigenes Leben war: Für meinen Partner, Freundeskreis, aber auch Job und mein Studium … Es schien plötzlich, als hätte ich all das nicht verdient. Was ich dabei jedoch vergaß: All das war lediglich meine subjektive Wahrnehmung und entsprach in keinster Weise der Realität.
Irgendwann merkte ich, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Mein Selbstbewusstsein war im Keller und das Schlimmste daran: Ich war selbst schuld! Ich genoss es regelrecht mich zu bemitleiden, weil das viel einfacher war, als mich an den Haaren aus dem Schlamassel zu ziehen. Vom vielen Weinen wurden die entzündeten Stellen rund um die Augen immer röter und geschwollener. Das wiederum machte es noch schwieriger, die Krankheit vor Fremden zu verbergen. Als Folge darauf sprachen mich natürlich auch sehr häufig Bekannte auf den immer schlechter werdenden Zustand meiner Haut an – das Tor zur Abwärtsspirale war damit geöffnet.
Ich beschloss meinen Dermatologen zu besuchen und dieser stellte mir sofort die Frage, ob ich gestresst sei. Da ich diese Frage im Alltag schon eine Million Mal gestellt bekommen hatte, beantwortete ich sie genervt mit „NEIN“. In diesem Moment dachte ich nicht einmal darüber nach, dass das vielleicht gar nicht stimmte. Was sollte mich denn auch stressen?
Zuhause angekommen schlug ich erst einmal meinen Terminkalender auf. Mir lachten ein paar nahezu vollständig unausgefüllte Seiten entgegen. Den Kalender hatte ich bereits Monate zuvor rigoros geleert: Treffen abgesagt, auf die ich keine Lust hatte, Arbeitsstunden im Job reduziert, das Tempo meines Studiums verlangsamt … Und zwar all das, um meine Haut zu entlasten. Dennoch hatte ich das Gefühl nicht in meiner inneren Mitte zu sein. Ich war schrecklich gestresst und das trotz eines leeren Terminkalenders – wie konnte das sein?
Irgendwann stieß ich dann durch Zufall auf ein Buch. Darin ging es um Stress und seine verschiedenen Gesichter. Stress bedeutet nicht automatisch einen vollen Terminkalender – Stress kann sich auch einfach im eigenen Kopf abspielen. In meinem Fall schien das des Rätsels Lösung zu sein. Darüber hatte ich davor nie nachgedacht.
Wir Menschen – und ich glaube, vor allem jene mit Neurodermitis – denken jeden Tag bis ins kleinste Detail über unser eigenes Verhalten nach. Der innere Kritiker in uns selbst lässt es oft nicht zu, unsere eigenen Leistungen zu würdigen. Wir sehen in den Spiegel und entdecken sofort einen Pickel, der den ganzen Tag über sonst niemandem aufgefallen ist. Oder wir sind schrecklich unzufrieden mit unserer eigenen Leistung, obwohl sie, objektiv betrachtet, großartig ist. Selten gelingt es uns, unsere eigenen Erfolge zu feiern. Stattdessen sind wir der festen Überzeugung, dass wir unsere Ziele aus „Zufall“ oder „purem Glück“ erreichen. Wie sollte es denn auch anders sein? Immerhin wird uns von Kindheit an beigebracht, dass „Selbstlob stinkt“. Dabei ist Selbstlob doch etwas Großartiges! Selbstlob und Selbstvertrauen sind meines Erachtens sogar untrennbar miteinander verbunden. Nur wenn ich es schaffe, meine eigenen Erfolge wertzuschätzen, kann ich auch stolz darauf sein, was ich erreicht habe. Und da ich mich zum damaligen Zeitpunkt selbst nicht leiden konnte, war es für mich praktisch unmöglich zufrieden zu sein. Immer strebte ich verschiedenen Idealen nach, die ich mir in den Kopf gesetzt hatte, doch das musste nun ein Ende finden. Ich versuchte mich so zu akzeptieren, wie ich war, und beschloss mich mit mir selbst anzufreunden, anstatt immer zu versuchen mich zu verändern oder so zu sein wie andere.
Ich entschied mich, mein Hindernis zu meinem Weg zu machen. Meine Neurodermitis sollte fortan meine beste Freundin werden und mir helfen, meinen Alltag zu meistern, anstatt ihn mir zu erschweren. So kam es, dass ich begann Briefe an meine Erkrankung zu schreiben, um ihr ein Gesicht zu geben. Das funktionierte erstaunlich gut, denn plötzlich wurde meine Haut besser und besser. Ich hatte die Krankheit davor nie richtig akzeptiert und wollte sie nie als einen Teil von mir anerkennen. Im Gegenteil – ich wünschte mir immer, sie wäre weg und hoffte, eines Tages wieder makellose Haut zu haben. Doch als ich begann zu akzeptieren, dass meine Haut nun mal so aussah, und die Flecken ein Teil von mir waren, begann ich mich wieder zu mögen – ja sogar zu lieben.
Der Weg zurück zu meinem Selbstvertrauen war ein langer und ich bin mir nicht sicher, ob ich schon an meinem Ziel angekommen bin. Eigentlich denke ich sogar, dass es in dieser Hinsicht gar kein Ziel gibt – der Weg und die Lektionen, die er lehrt, sind von viel größerer Bedeutung. Dennoch kann ich voller Stolz sagen, dass ich mich nicht mehr von fiesen Kommentaren oder irrwitzigen Fragen zu meiner Haut stressen lasse. Auch rote Flecken rund um die Augen oder trockene Hautschuppen können mich nicht mehr aus der Fassung bringen. So wie ich bin, bin ich einzigartig und wundervoll und ich lasse mir von niemandem etwas Anderes erzählen. Meine Erfolge beruhen auf meinem Können und nicht auf Zufall!
Wenn meine Haut im Gesicht heute während eines Schubs wieder schlechter wird, sehe ich in den Spiegel und zieh‘ die Mundwinkel hoch. Ich schenke mir selbst ein Lächeln und genieße die Zeit in Gesellschaft meiner Freunde, anstatt mich zu stressen und zu verstecken. Ich bin mehr als nur Haut.