Neurodermitis bei Kindern und Babys
Neurodermitis bei Kindern und Babys
Neurodermitis bei Kindern und Babys
Neurodermitis in der Kindheit
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Eine Kinderärztin erzählt: Das bedeutet Neurodermitis in der Kindheit

Name: Dr. Jobst
Schreibt über: Neurodermitis in der Kindheit

Eine Kinderärztin erzählt: Das bedeutet Neurodermitis in der Kindheit

Name: Dr. Jobst
Schreibt über: Neurodermitis in der Kindheit

Dr. Andrea Jobst im Interview

Wenn ein Kind an Neurodermitis erkrankt, leidet häufig die gesamte Familie. Typisch ist ein starker Juckreiz, der am Tag, aber vor allem auch in der Nacht auftritt. Schlafstörungen sind deshalb eine häufige Folge, unter der die Betroffenen und ihre Eltern leiden. Wir haben deshalb Dr. Andrea Jobst gefragt, was gegen Neurodermitis hilft und wie Familien Unterstützung finden. Dr. Jobst ist Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Außerdem hat sie eine Weiterbildung in Kinder-Pneumologie und Allergologie. In Berlin arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis.

Frau Dr. Jobst, was genau ist Neurodermitis?

Neurodermitis, auch atopische Dermatitis oder atopisches Ekzem genannt, ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und nicht ansteckend ist.
Die Betroffenen leiden häufig unter einem Defekt in der Hautschutzbarriere. Dadurch verliert die Haut Feuchtigkeit und ist trocken. Eine weitere Folge: Bakterien oder Umweltstoffe können leichter in die Haut eindringen und damit für eine Entzündung sorgen.

Was sind typische Symptome?

Eine sehr trockene Haut sowie eine überschießende Entzündungsreaktion, die starken Juckreiz auslösen kann, sind typische Symptome für die Erkrankung. Die betroffenen Körperstellen und Ausprägungen verändern sich meist mit dem Alter. Im Säuglingsalter zeigt sich die Krankheit vor allem an den Wangen und an den Streckseiten der Arme und Beine.
Mit zunehmendem Alter tritt die Entzündung häufig an den Beugeseiten auf, also an Ellenbogenbeugen, Kniekehlen, Hals oder Handgelenken. Auch die Intensität kann variieren.

Zeigt sich Neurodermitis erstmalig im Baby-, Kindesalter oder kann die Hauterkrankung auch später im Erwachsenenalter noch auftreten?

Meistens tritt die Krankheit in den ersten sechs Lebensmonaten auf. Sie zählt damit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter. Generell gibt es aber keine Altersbeschränkung. Ein Mensch kann in jedem Alter daran erkranken.

Neurodermitis betrifft eine Vielzahl von Patienten und Patientinnen. Laut einer aktuellen Studie gibt es 3,8 Millionen Diagnosen in Deutschland. Was macht Neurodermitis zu so einer weit verbreiteten Erkrankung?

Die Krankheit wird durch viele Faktoren beeinflusst. Veranlagung spielt eine große Rolle. Wenn der Vater oder die Mutter selbst betroffen sind, erhöht sich das Risiko für das Kind um bis zu 80 Prozent. Weiter wirken sich verschiedene Umweltfaktoren aus – unter anderem unser westlicher Lebensstil. Typisch dafür ist, dass wir uns zu häufig in Innenräumen aufhalten, viel mehr Antibiotika nehmen als früher, weniger Geschwister und dadurch weniger Infekte haben.

Sie sagten, dass es unterschiedliche Symptome und Ausprägungen gibt, woran kann das liegen?

Die Hauterscheinungen der Neurodermitis sind je nach Stadium (akut oder chronisch) und Lebensalter verschieden. Im frühen Kindesalter, also zwischen null bis zwei Jahren, sind meist Ekzeme im Bereich des Gesichtes, auf der behaarten Kopfhaut sowie streckseitig vorherrschend. Später finden sich häufig Ekzeme im Beugebereich. Wenn Erwachsene hautbelastende Tätigkeiten ausführen, kann es außerdem zu Handekzemen kommen.

Die häufigsten Stellen bei Neurodermitis in jedem Alter

Neben dem Lebensalter kann auch großer psychischer oder physischer Stress eine Rolle spielen. Neurodermitis gehört außerdem zu den sogenannten atopischen Erkrankungen. Das bedeutet: Der Körper reagiert mit einer Überempfindlichkeit auf ansonsten harmlose Umweltstoffe. Für die Ausprägungen der Krankheit ist es deshalb auch entscheidend, wie gut diese jeweiligen Auslösefaktoren kontrolliert werden können.

Haben Kinder und Jugendliche oft schlimmere Symptome oder mit größeren Beschwerden zu kämpfen?

Das lässt sich nur schwer pauschalisieren. Bei Kindern haben wir meist noch bessere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen und ihnen damit den Leidensdruck zu nehmen. Auf der anderen Seite hat ein junger Mensch, der gerade heranwächst und mit solch einer stigmatisierenden Hauterkrankung zu kämpfen hat, oft einen hohen Leidensdruck. Hänseleien kommen häufig im Kindesalter vor. Im Jugendalter können Betroffene außerdem Schwierigkeiten haben, mit Gleichaltrigen in näheren Kontakt zu treten, weil sie sich schämen. Erwachsene stehen häufig schon gefestigter im Leben und können besser damit umgehen. Aber auch sie können sehr unter der Krankheit leiden.

Kann die Erkrankung wieder verschwinden und/oder durch Stress oder ein geschwächtes Immunsystem wieder auftreten?

Der Verlauf der Neurodermitis ist wechselhaft mit Krankheitsschüüben unterschiedlicher Dauer und Schwere. Die Erkrankung kann häufig wiederkommen. Auch leichtere Verläufe können die Lebensqualität der Betroffenen schwer beeinträchtigen und psychische Belastungen auslösen – das hängt immer vom subjektiven Empfinden ab. Eine Spontanheilung ist jederzeit möglich. Typisch für die Krankheit ist, dass sie sich in Zeiten großer Hormonumstellungen verstärkt verändert – beispielsweise vor Schulbeginn, mit Eintritt in die Pubertät oder durch eine Schwangerschaft. Sie kann prinzipiell aber mit jedem Lebensalter oder in jeder Lebensphase wieder verschwinden.

Es gibt aber auch verschiedene Auslösefaktoren, die dafür sorgen, dass die Betroffenen nach einer Weile der Ruhe wieder einen Schub bekommen. Großer psychischer und physischer Stress kann die Ursache sein und auch schwere Infekte. Eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf bestimmte Reize zählt weiter zu den möglichen Auslösefaktoren.

Wie stark wird das Leben von Kindern und Jugendlichen von der Erkrankung beeinflusst?

Eine stärkere atopische Dermatitis kann in jedem Alter dazu führen, dass sich die Betroffenen vom sozialen Leben zurückziehen, weil sie sich unansehnlich finden. Das hängt oft gar nicht damit zusammen, wie stark die Krankheit ausgeprägt ist, sondern von der subjektiven Wahrnehmung des Patienten und Patientinnen. Weiter hat der nächtliche Juckreiz Einfluss auf den Alltag der Betroffenen. Wenn kleine Kinder nachts nicht schlafen können, sind sie häufig am Tag überdreht. Bei älteren Kindern und Jugendlichen wirkt sich Schlafmangel ähnlich aus wie bei Erwachsenen: Es kann zu depressiven Verstimmungen kommen, schlechter Laune oder Unkonzentriertheit.

Hat die Erkrankung auch Einfluss auf die Familien der Betroffenen?

Neurodermitis bei Kindern ist auch eine Herausforderung für Eltern

Auf jeden Fall. Die Krankheit macht die gesamte Familie co-krank. Das fängt im Säuglingsalter an. Wenn die Babys schlecht und unruhig schlafen, liegen die Eltern häufig ebenfalls wach. Viele Erwachsene machen sich auch Vorwürfe, dass ihr Kind eine chronische Erkrankung hat. Mütter fragen sich: Habe ich etwas in der Schwangerschaft falsch gemacht? Wird das Kind gehänselt, ist das für die Eltern schwierig auszuhalten. Wenn die kleinen Patienten und Patientinnen wegen des Juckreizes schlecht gelaunt sind oder in der Schule kämpfen, hat das ebenfalls Auswirkungen auf das gesamte Familienklima.

Es gibt also auch psychische Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch die Erkrankung?

Auf jeden Fall. Wir sehen, dass Kinder und Jugendliche mit einer atopischen Dermatitis vermehrt zu Depressionen beziehungsweise depressiven Verstimmungen neigen. Ursache dafür sind die bereits genannten Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Stigmatisierungen und dass sie sich oft anders fühlen als Gleichaltrige.

Gibt es spezielle Therapiemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche?

Ja! Für Eltern ist es wichtig, einen Arzt bzw. Ärztin aufzusuchen, der bzw. die erfahren ist bei der Behandlung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen mit atopischer Dermatitis und die passenden Maßnahmen einleiten kann. Es gibt bei der Therapie ein bestimmtes Stufenschema, das sich an den medizinischen Leitlinien orientiert. Der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin kann sich daran halten und schauen, in welchem Zustand die Haut ist und welche entsprechenden Produkte und Medikamente infrage kommen.

Inwiefern werden Familien unterstützt, in denen ein Kind an Neurodermitis erkrankt ist?

Es gibt verschiedene Maßnahmen. Zum einen können Familien an Schulungen teilnehmen, die von der AG Neurodermitis, der AGNES e.V., angeboten werden. Sie sind mit verschiedenen Schwerpunkten versehen – beispielsweise nur für Eltern, für Betroffene mit Eltern oder für Jugendliche. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen.

Auch übernehmen für Kinder bis zwölf Jahren die Krankenkassen für bestimmte Pflegeprodukte die Kosten. Das muss der behandelnde Mediziner bzw. die behandelnde Medizinerin entsprechend verschreiben. Wenn ein Kind oder Jugendlicher schwer erkrankt ist, gibt es außerdem Reha-Maßnahmen in Kliniken. In größeren Städten wie Berlin gibt es zudem Selbsthilfe-Gruppen.

Wie suchen Sie die geeignete Therapie aus?

Das hängt vom Stadium der Erkrankung ab. Je nach Ausprägung der Entzündung sollten die antientzündlichen Therapiecremes verwendet werden, die die Leitlinie für die bestimmten Stadien vorsieht. Grundsätzlich gibt es keine pauschale Therapie, sondern der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin und die Betroffenen müssen immer schauen, wie gut einzelne Maßnahmen wirken.

Außerdem ist es wichtig, die Auslösefaktoren im Blick zu haben. Ist beispielsweise Wolle ein Stoff, der gemieden werden sollte – sowohl in der Kleidung beim Kind als auch beim Erwachsenen. Hat die Familie Haustiere? Wenn ja, gibt es eventuell eine Tierhaar-Allergie? Weiter spielt das Stadium der Erkrankung eine Rolle: Wie trocken ist die Haut? Wie viel Pflegecreme benötigt das Kind? Daran sollte sich die jeweilige Therapie orientieren.

Wie schätzen Sie die letzten Entwicklungen im Bereich der Therapien ein?

Sehr positiv. Beispielsweise gibt es eine innovative Behandlungsmethode mit Antikörpern. Es geht bei ihr darum, den Auslösemechanismus zu verhindern, der die Entzündungsreaktionen in der Haut hervorruft. Das ist eine ganz neue Entwicklung im Bereich der Behandlung einer atopischen Dermatitis – für mich ist sie ein Meilenstein.

Bei Kindern haben wir meist noch bessere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen und ihnen damit den Leidensdruck zu nehmen.
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