Rückblickend schüttelt es mich, wenn ich daran denke, dass es tatsächlich mal im Raum stand, dass ich wegen meiner Neurodermitis nicht Schauspielerin hätte werden sollen. Fast wütend macht mich der Gedanke.
Rückblickend schüttelt es mich, wenn ich daran denke, dass es tatsächlich mal im Raum stand, dass ich wegen meiner Neurodermitis nicht Schauspielerin hätte werden sollen. Fast wütend macht mich der Gedanke.
Meinen Umgang mit Neurodermitis musste ich erst lernen. Aber von vorne. In meiner Kindheit hatte ich immer wieder schlimme Neurodermitis-Schübe mit allem was dazugehört: nässende und aufgekratzte Stellen am ganzen Körper und unschöne Blutflecke auf dem Bettlaken und auf der Kleidung. Es war fies und schmerzhaft für mich, aber was mich auch beschäftigte, war ab und an ein Schamgefühl und psychischer Druck, den diese Krankheit bei mir ausgelöst hat. Ich wollte einfach normal sein, wie alle anderen. Nach unzähligen Behandlungsversuchen in meiner Kindheit ist die Neurodermitis zwischen 17 und 19 deutlich besser geworden oder wie man so schön sagt: „Ich habe sie in den Griff bekommen“.
Mit glatter Haut und neuem Selbstbewusstsein ausgestattet, wollte ich mich nicht mehr länger verstecken: Mein Traum sollte wahr werden. Ich wollte Schauspielerin werden! Alle in meiner Klasse schauten sich nach Studiengängen oder Ausbildungsplätzen um. Ich startete mein erstes Vorsprechen. Ob es eine Untersuchung für eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für meine Ausbildung oder ein reiner Routinetermin bei meiner Ärztin war, weiß ich nicht mehr, aber der Moment ist mir noch sehr präsent: „Liebe Frau Gerhard, wenn Sie später im Theater arbeiten und dort proben, dabei schwitzen und laut schreien müssen und der ganze Staub fliegt da rum, ist das nichts für Ihre empfindliche Haut. Ich denke, Sie sollten sich einen anderen Beruf aussuchen. Schauspielerin scheint mir wenig geeignet.“
Diese Worte hallen noch bis heute in mir nach, auch wenn sie mich glücklicherweise nicht von meinem Traum abhalten konnten. Sicherlich meinte es diese Ärztin damals nur gut mit mir und dass ich nun neben meiner großen Körpergröße (185 cm) noch ein weiteres Thema in meiner Karriere haben werde, was mich nonstop begleiten wird, war mir seit diesem Gespräch klar. Die Neurodermitis schlug mir auf die Psyche. Mit Stolz möchte ich aber schon an dieser Stelle verkünden: Wir haben das Jahr 2024 – und seit fast 18 Jahren arbeite ich erfolgreich als Schauspielerin auf der Bühne und vor der Kamera. My dream came true!
Wenn ich mir Filme anschaue, und da hat sich bis heute leider nichts geändert, sehen wir selten Pickel, Akne oder Hautkrankheiten, es sei denn, sie haben was mit der Geschichte zu tun. Auch auf den Social-Media-Kanälen oder in Zeitschriften – die Ausnahme sind böse Geschichten – sind wir mit einem Schönheitsideal der perfekten zartrosa schimmernden und irritationsfreien Haut konfrontiert. Eigentlich eine Verzerrung der Wirklichkeit, denn allein vier Millionen Menschen haben diagnostizierte Neurodermitis in Deutschland. Wäre es nicht auch schön, wenn wir das sehen würden in den Zeitschriften, im Fernsehen, auf den Social-Media-Kanälen? Aber das ist nochmal ein anderes Thema.
Und wie geht’s mir im Job jetzt mit meiner Haut, fragt Ihr Euch sicher? Seitdem sich mein Hautbild nach der Pubertät beruhigt hat, hatte ich nie wieder besonders große Schübe, in der meine Haut blühte. Mal hier und da eine aufgeraute Stelle. Dazu muss ich aber deutlich sagen: von nichts kommt nichts! Natürlich muss ich stets darauf achten, dass ich zum Beispiel beim Abschminken bestimmte Produkte wie konventionelle Abschminktücher vermeide, denn sonst hat das Konsequenzen. Und natürlich sorge ich dafür, dass meine schwitzende Haut nicht stundenlang im „Saft“ steht.
Ich erinnere mich an eine ungewöhnlich starke Hautreaktion 2015. Ich spielte das Einhorn im Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ im Ohnsorg Theater in Hamburg und trug für die Rolle einen Fat Suite. Nachdem wir die anstrengenden Proben und die Premiere hinter uns hatten, folgten rund 80 Vorstellungen in knapp fünf Wochen (Niemand hat gesagt, dass Schauspielerei nicht auch manchmal Fließbandarbeit ist 😊). Nach wenigen Vorstellungen hatte ich überall, aber vor allem am Rücken, leicht offene Stellen. Mein Körper mochte das Material vom Fat Suite nicht und es war zu heiß. Aber durch einen kleinen Trick, nämlich den Einsatz von Merinowäsche unter dem Suite, war das Problem nach wenigen Tagen gelöst und nach wenigen Tagen die Stellen wieder verschwunden. Ich weiß aber auch, dass gerade Merinowolle von anderen Betroffenen nicht gut vertragen wird – also da muss man ganz individuell eine Lösung finden. Mein Glück hier: Ich hatte nie Neurodermitis im Gesicht oder an den Händen, mein Körper war eher an den Beugen und auch an den Fußfesseln betroffen.
Bis heute ist es wichtig, dass ich dafür sorge, dass ich mich beispielsweise gut ernähre, dass ich das richtige Waschmittel benutze und dass ich fernab von Behandlungsstrategien dafür sorge, dass es mir, Andrea, gut geht. Die Haut ist der Spiegel der Seele – auf meinem ganzen Weg mit der Neurodermitis kann ich das nur bestätigen.
Also hier nochmal ganz konkret, was mir geholfen hat: Stress reduzieren, pflanzenbasierte Ernährung, Zitrusfrüchte nur in Maßen, Sport machen, das Leben positiv sehen und zu mir finden. Es ist wichtig Träume und Ziele zu haben und diese auch nicht aufzugeben. Macht Euch auf Euren eigenen Weg – es wird sich lohnen. Für Eure Haut und für Euch selbst!
Ich habe es bisher nicht bereut, dass ich mich für meinen Traum entschieden habe, Schauspielerin zu werden. Denn de facto kann ich sagen, dass meine Haut noch nie ein Engagement verhindert hat. Ich habe mich auch von der psychischen Belastung der Neurodermitis nicht unterkriegen lassen. Ich weiß, natürlich bin ich in der glücklichen Position, dass ich heute keine großen Probleme oder Stellen mehr habe. Aber selbst wenn, dann wird die ein oder andere raue Stelle an der Achselbeuge einfach leicht abgedeckt und damit hat sich die Sache. Auch diverse kleine Narben haben bisher zwar manchmal Fragen aufgeworfen, aber waren nie ein großes Thema. Ich finde, wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, wer wir sind, was uns ausmacht und nicht, wie wir aussehen. Und vor allem sollten wir wieder mehr lernen auf unsere innere Stimme zu hören: Was brauchen wir? Wie geht es mir? Wie kann ich mich um mich kümmern. Wir sollten uns unabhängig machen von den vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen von anderen Menschen oder deren perfekten Aussehen, das ist so old school! Nur wir selbst können wissen und entscheiden, welchen Beruf wir ausüben wollen. Stand tall and shine – mein Leitspruch für mein Leben.